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Bin ich schuld an der psychischen Erkrankung meines Kindes?

Wenn Ihr Kind an einer Depression, Zwangsstörung, einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) oder einer anderen psychischen Erkrankung leidet, haben Sie sich diese Fragen vielleicht schon einmal gestellt: „Bin ich schuld daran?“ „Hätte ich die Probleme früher erkennen können?“, „Habe ich in meiner Erziehung etwas falsch gemacht?“

Solche Gedanken sind nicht ungewöhnlich.


In einer Studie äußerten 60 Prozent der befragten Eltern Gefühle von Schuld. Sie gaben an, dass sie sich Selbstvorwürfe in Bezug auf die Diagnose ihres Kindes machen. Um dieser „Schuldfrage“ zu begegnen ist es hilfreich zu wissen, wie psychische Erkrankungen entstehen.


Schauen wir uns das am Beispiel der Depression an. Eine Depression entwickelt sich aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren, es gibt nicht „den einen“ Auslöser. Das kann man sich wie ein Puzzle vorstellen, das erst aus vielen Teilen ein Gesamtbild ergibt. Welche Puzzleteile gibt es also? Genetische und biologische Faktoren und individuelle Merkmale des Kindes wie beispielsweise Temperament und Einstellungen spielen eine Rolle. Auch das familiäre Umfeld, also Erziehungserfahrungen, Bindung, elterliche Botschaften und Rollenvorbilder, ist ebenso relevant wie das weitere soziale Umfeld (Freundeskreis, Schule, gesellschaftliche Faktoren allgemein). Des Weiteren gibt es kritische Lebensereignisse, die den individuellen Stress erhöhen (z. B. ein Todesfall, Umzug, Streit, Überforderung) aber auch ganz „normale“ Entwicklungsschritte wie die Pubertät. Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen: Erziehung und elterliches Verhalten sind nur ein Teil dieses „Puzzles“.


Ist es sinnvoll, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen?

Jein. Stellen Sie sich vor, Sie bleiben mit Ihrem Auto auf der Straße liegen und haben eine Panne. Was würden Sie tun? Vermutlich den Pannenservice anrufen und sich helfen lassen. Der könnte zwar zu dem Schluss kommen, dass nicht genug Motoröl vorhanden war und der Motor somit einen Schaden genommen hat (zugegebenermaßen ist das bei Autos deutlich einfacher als beispielsweise bei einer Depression, Essstörung oder Angststörung). Unmittelbar in der Situation ist es jedoch nicht besonders hilfreich, sich selbst Vorwürfe zu machen, es vergessen oder übersehen zu haben. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die genauen Ursachen erst noch geklärt werden müssen (vielleicht ist ja auch ein Loch im Ölbehälter?).


Andererseits ist es natürlich wichtig, aus Problemen und „Fehlern“ zu lernen, sodass Sie in Zukunft daran denken, regelmäßig den Ölstand zu prüfen. Was Sie jedoch kaum weiterbringen wird, ist sich Selbstvorwürfe darüber zu machen, dass Sie es in der Vergangenheit vergessen haben.


Was heißt das in Bezug auf die Erkrankung Ihres Kindes?

Natürlich können Sie reflektieren, welche Verhaltensweisen Sie verändern können, um Ihr Kind gut zu unterstützen. Vielleicht wollen Sie gelassener werden, Ihrem Kind mehr zutrauen oder mehr Gespräche anbieten. Das kann sicher hilfreich sein. Aber sich über die Vergangenheit zu grämen und über die eigene Schuld an der Erkrankung des Kindes zu grübeln, bringt Sie hingegen nicht weiter.


Auswirkungen von Schuldgefühlen

In der oben erwähnten Studie zeigte sich außerdem, dass elterliche Selbstvorwürfe und Schuldgefühle mit mehr Stress und einem geringeren psychischen Wohlbefinden einhergehen. Das kann damit zusammenhängen, dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse im Alltag zurückstellen um sich voll und ganz auf ihr Kind zu konzentrieren, um ihre vermeintliche Schuld damit zu begleichen. Hierin steckt jedoch ein Denkfehler: ein solches Verhalten wird dazu führen, dass die mentalen und körperlichen Energiereserven sehr schnell aufgebraucht sein werden. Es ist also ratsam, sowohl für das eigene Kind ein Hilfesystem aufzubauen und gleichzeitig auch selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen und für sich selbst zu sorgen.


Ein wichtiger Schritt: Selbstfürsorge

Als Mutter oder Vater wollen Sie Ihr Kind optimal unterstützen, das ist ganz klar und es ist absolut in Ordnung zu fragen, was das Kind gerade braucht. Aber genauso wichtig ist Ihre eigene Gesundheit und Kraft! Denken Sie daran, sich im Alltag Momente der Auszeit zu schaffen, auf eigene Bedürfnisse zu achten, soziale Unterstützung z. B. durch Freunde in Anspruch zu nehmen. All das sind erste Schritte dahin, Ihrem Kind auf dem Weg der Besserung eine möglichst gute Hilfe zu sein.


Hier ein paar Ideen, wie Sie selbstfürsorglich mit sich umgehen können:

  • Auf die eigenen Bedürfnisse achten: Grenzen setzen, Aufgaben abgeben, auf ausreichend Pausen achten, die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und ausreichend Schlaf erfüllen

  • Achtsamer und bewusster im Alltag sein: 5-10 Minuten eher aufstehen und z. B. am geöffneten Fenster stehend die Sinneseindrücke ganz bewusst wahrnehmen, den ersten Kaffee/Tee am Morgen in Ruhe zubereiten und trinken, beim Kochen oder Zähne putzen die Wahrnehmung ins Hier und Jetzt bringen anstatt gedanklich den nächsten Tag zu planen

  • Die eigenen Maßstäbe hinterfragen: um Hilfe bitten, Aufgaben abgeben, Hausarbeiten zu Gunsten von angenehmen Aktivitäten liegen lassen.

  • Und zu guter letzte: scheuen Sie sich nicht davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ja, Sie dürfen sich um sich kümmern und Verantwortung für Ihr Wohlbefinden übernehmen!

„Wenn man auf seinen Körper achtet, geht’s auch dem Kopf besser“




Gastbeitrag von Isabelle Hennig, Psychologische Psychotherapeutin Psychologische Online-Beratung


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